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Xxv. §. 11. Entwicklung neuer Gegensätze.
tägiger Barricadenkampf in Paris endigte mit der Versagung der kö-
niglichen Familie aus Frankreich und mit der Erhebung des „Bür-
gerkönigs" Louis Philipp aus der Seitenlinie der Orleans auf
den neubefleckten und geschwächten Thron. Wie ein zündender Funke
fiel diese französische Julirevolution in den überall aufgehäuften Zun-
der der „liberalen" Mißstimmung. Belgien riß sich von Holland
los und wurde unter Zustimmung der Großmächte zu einem besondern
Königreich mit französischer Verfassung erhoben. Polen versuchte
seine verlorene Unabhängigkeit wieder zu gewinnen, wurde aber nach
zweijährigem harten Kampf durch die russischen Heere überwältigt. In
Spanien und Portugal brachen neue verheerende Bürgerkriege
aus. In Italien konnte der Geist der Empörung nur durch den
Einmarsch östreichischer Truppen gedämpft werden. Die Schweiz
war von Hader und Spaltungen erfüllt, und ward durch Aufnahme
einer Masse politischer Flüchtlinge, besonders Polen, der Mutterschooß
fortwährender Unruhen und Revolutionsversuche in sämmtlichen Nach-
barstaaten. Selbst in England regten sich aufständische Versuche und
eine Reform des Parlaments nach französischen Principien ward durch-
gcsetzt. Wie hätten die deutschen Länder davon unberührt bleiben
sollen? Unmittelbar nach der französischen Julirevolution brach in
Braun schweig ein Aufruhr aus, der Fürst des Landes ward ver-
jagt, sein Bruder mußte eine liberale Verfassung bewilligen. Die
Fürsten von Hessen-Cassel und Sachsen wurden gezwungen, ihre
Herrscherrechte mit Mitregenten zu theilen und gleichfalls liberale Ver-
fassungen anzunehmen. Aehnlich ging es mit Hannover, welches
damals noch mit England verbunden war (1837 nach dem Tode Wil-
helm's Iv. von England bekam Hannover wieder seinen eignen
König, Ernst August, und die liberale Verfassung ward etwas ein-
geschränkt). Die Partei der Liberalsten aber im südlichen Deutsch-
land, die linke Seite in den Kammern, und Alles, was von unruhigen
Geistern und politisch überspannten oder sittlich verkommenen Menschen
sich zu ihnen hielt, suchten die revolutionären Bewegungen noch ganz
anders in ihrem Sinne auszubeuten. Sie wollten ganz Deutschland
zu einer großen „untheilbaren Republik" machen, und alle Nachbar-
staaten desgleichen. Auf dem sogenannten Hambach er fest (1832),
wo 30,000 solcher verwirrter und thörichter Köpfe beisammen waren,
ward dieser Plan öffentlich verkündigt, und zu Frankfurt sollte durch
Zersprengung der Bundesversammlung mit der Ausführung begonnen
werden. Aber das ganze Unternehmen scheiterte in kläglicher Weise
und strenge Verordnungen und Maßregeln der Regierungen gegen die
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Extrahierte Personennamen: Louis_Philipp Philipp Ernst August
Extrahierte Ortsnamen: Paris Frankreich Holland Spanien Portugal Italien England Hessen-Cassel Sachsen England England Deutschland Hambach Frankfurt
()34 Xxv. §. Jo. Deutschlands sittliche und politische Wiedergeburt.
nachgab, auf den Besitz des ganzen Königreichs Sachsen, das ihm
versprochen war, verzichtete, sich mit der Hälfte und mit einigen Gebiets-
erweiterungen in Westphalen und am Rhein begnügte, auch den Besitz
des sogenannten Herzogthums Warschau Rußland überließ und nur
Posen behielt. Nicht minder widerlich war die Einmischung der
Engländer. Um alle die besten holländischen Colonieen, die sie im
Lauf der französischen Kriege erobert hatten, jetzt behalten zu können,
brachten sie es dahin, daß ein altes deutsches Reichsland, niederländisch
Burgund oder Belgien, zuletzt den Oestreichern gehörig, an Holland
abgetreten und ein neues Königreich der vereinigten Niederlande gestif-
tet wurde. Was sollen wir weiter aufzählen alle die Beweise von
Nichtachtung, die unserm Vaterland noch immer von den Fremden zu
Theil wurden, und von der Uneinigkeit der deutschen Staaten unter ein-
ander. Zur Wiederherstellung eines deutschen Reiches konnte es unter
solchen Umständen nicht kommen. Es konnte nur ein deutscher Buud
aufgerichtet werden, ein Bund von sechsunddreißig souveränen Staaten,
von den europäischen Großmächten Oestreieh und Preußen an bis zu
den kleinen Fürsten von Lippe, Waldeck, Reuß, Liechtenstein und zu den
vier freien Städten hinunter. Daß alle diese an Macht und Größe so
verschiedenen Staaten gleich viel gelten, daß sie zu jedem wichtigen
Beschluß Stimmeneinhelligkeit erzielen, daß sie ohne Bundesgericht,
ohne Vollziehungsbehörde nur auf allseitigen guten Willen gewiesen
sein sollten, das mußte sich bald genug als unerträgliche Hemmung
jeder inner» Weiterbildung erweisen. Jndeß es blieb dabei, und am
5. Noveinber 1816 trat der Bundestag in Frankfurt zusammen.
Gestehen wir es also, die politischen Früchte des großen Sieges waren
keineswegs den Wünschen und Hoffnungen der Vaterlandsfreunde ent-
sprechend, und auch die sittliche Erhebung schien unter den eifersüchti-
gen Fürsten schon wieder zu schwinden. Jndeß es schien doch nur so.
Durch die unvermuthete Rückkehr Napoleon's von Elba, durch die
erneute gemeinsame Kriegesarbeit wurde die Nothwendigkeit des engen
Zusammenhaltens, die Unsicherheit des irdischen Friedens und Besitz-
thums, die Gefahr der Entzweiung auf's Neue den verbündeten Für-
sten nachdrücklich vor die Augen gestellt. Da traten am 26. September
1815 die drei Monarchen von Rußland*), Preußen und Oestreich zu
der sogenannten heiligen Allianz zusammen, zu dem heiligen
Bunde, in welchem sich jeder verpstichtete, seine Regierung nach christ-
lichen Grundsätzen in Liebe, Gerechtigkeit und Frieden führen zu wollen.
Man sollte meinen, dazu sei jeder Monarch ohnehin verpflichtet, und
so ist es auch. Aber in der Zeit gänzlicher Verdunkelung des Gottes-
worteö, gänzlicher Glaubenslosigkeit und Glaubensspötterei war es für
lächerlich gehalten, in der Politik aus die Vorschriften des Evangeliums
*) Urheber des Bundes war Alexander von Rußland: er war während der
Befreiungskriege religiös angeregt worden durch die Frau von Krüden er.
Ps. 91 war sein Lieblingspsalm. Des preußischen Königs Licblingöspruch:
meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott.
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Extrahierte Personennamen: Oestreich Alexander_von_Rußland Alexander Königs_Licblingöspruch
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Xxv. §. 11. Entwicklung neuer Gegensätze.
rung Wiens, ja Oestreichs, in den Händen bartloser Studenten
und Zeitungsschreiber; Staatskanzler Metternich ward vertrieben,
Kaiser Ferdinand zur Flucht genöthigt, eine Nationalversammlung
aufgerichtet, das ganze Kaiserreich bis in seine Grundfesten erschüttert.
Und nicht viel besser ging es in jenen schimpflichen Märztagen des
Jahres 1848 in Berlin. Auch dort, wie in allen Städten Deutsch-
lands die verabredeten Forderungen: Preßfreiheit, Volksvertretung,
Vereinsrecht, mündliches Gerichtsverfahren, Bürgerwehr u. s. w. Der
König, der schon ein Jahr vorher die landständische Verfassung zum
Abschluß gebracht hatte und einer freien Verfassung nicht abgeneigt
war, gewährte fast Alles, was gewünscht wurde. Aber um die Ge-
währung der Forderungen war es ja der nichtswürdigen Rotte nicht
zu thun, sondern um Tumult, Aufruhr, Barricadenkämpfe, Minister-
wechsel,- Nationalversammlung, Zeughausplünderung, Pöbelherrschaft,
wie das alles denn auch in Berlin bis zum November 1848 reichlich
zu sehen war. Die dritte deutsche Stadt, welche zum Hauptheerd
der tollen Deutschthümlerei ausersehen war, war die Bundesstadt
Frankfurt. Dort war die Bundesversammlung schnell beseitigt, und
an ihrer Stelle tagte das Reichsparlament mit dem Erzherzog Jo-
hann als Reichsverweser an der Spitze. Viele ehrenwerthe Männer
waren da zusammen gekommen, die wirklich das Beste Deutschlands
suchten, und Preußen an die Spitze eines einigen eng verbundenen
Deutschlands, nicht mehr eines Staatenbundes, sondern eines Bun-
desstaates stellen wollten. Aber sie gingen dabei nicht die Wege des
Rechts und der Gerechtigkeit. Auf dem gewaltsamen und unordentlichen
Verfahren konnte der Segen Gottes nicht ruhen. Die republikanische
Partei in der Versammlung, längere Zeit grollend zurückgedrängt,
brach immer offener hervor. Straßenkampf und schändlicher Meuchel-
mord in Frankfurt, blutiger Barricadenkampf in Dresden (Mai 1849)
und in mehreren preußischen Städten, offene Empörung der Pfalz
und Badens, wo nach dem Abfall des Militärs der Großherzog ver-
trieben ward, Einsetzung einer provisorischen Centralregierung in Stutt-
gart, nachdem der republikanische Rest des Parlaments Frankfurt
hatte verlassen müssen, — das waren die weiteren Maßnahmen und
Erfolge der Freiheitshelden und Wühler. Aber es nabm Alles ein
klägliches Ende. Wien war schon Ende October 1848 wieder in
den Händen der kaiserlichen Truppen und die Lombardei mit Ve-
nedig durch das Schwert des tapfern Radetzky den Empörern und
ihrem Werkzeug, dem Piemontesenkönig Karl Albert wieder entris-
sen. Berlin war im November 1848 durch die entschlossenen Mi-
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Extrahierte Personennamen: Metternich Ferdinand Ferdinand Radetzky Karl_Albert Karl
Extrahierte Ortsnamen: Wiens Berlin Berlin Deutschlands Deutschlands Meuchel- Frankfurt Dresden Badens Stutt- Berlin